Augen- und Kopf- Lesepfad bei Patienten mit Hemianopsie

Schoepf D, Zangemeister WH: In: Facets of Dyslexia and its Remidiation, ed. by R Groner & SFWright, Elsevier, Amsterdam NewYork, 1993; pp. 267 287

Textsprache des Originals: Englisch

Bei hemianopen Patienten sind visuelle Informationen nur in einer Hälfte des Gesichtsfeldes (Halbfeld) verfügbar: Die Patienten sind blind auf dem linken oder rechten Halbfeld, d.h. Null bis 100 Grad nach links oder rechts. Diese Hemianopsie müssen die Patienten ausgleichen. Durch geeignete okulomotorische Strategien entwickeln Patienten eine bestmöglichen Nutzung der verbleibenden Hälfte des Gesichtsfeldes. Bis zu einem gewissen Grad ist es daher möglich zu lernen, diese Sehbehinderung auszugleichen. Zangemeister et al. (1981, 1982, 1983) fanden bei hemianopen Patienten unterschiedliche adaptive okuläre Motorik-Strategien, um nach Objekten in ihrem blinden Halbfeld zu suchen.  Sie verwendeten ein horizontales Ziel, einen kleinen grünen Lichtpunkt, dessen Erscheinen in Amplitude und Zeit vorhersehbar oder zufällig war. In dieser künstlichen experimentellen Situation verwendeten die Probanden einen konsistenten Satz von vermutlich unbewussten kompensatorischen  Augenbewegungsstrategien. Im Hinblick auf einen möglichen positiven Effekt von Kopfbewegungen wiesen Zangemeister et al. (1982) darauf hin, dass Hemianopsie-Patienten oft Such- und Fixations-Strategien vereinfachen, indem sie Kopfbewegungen eliminieren. Ziel der vorliegenden Studie war es, die qualitativen und quantitativen Veränderungen des Abtastverhaltens der Okulo-Motorik  beim Lesen, d.h. waehrend des Lesepfades, zu analysieren. Unsere Hemianopsie-Patienten mussten vier verschiedene kurze Texte so genau und schnell wie möglich vorlesen. Erstens, in einem Experiment, bei dem der Kopf fixiert wurde, und zweitens, in einem natürlicheren kopf-frei-beweglichen Zustand. In einem der vier vorgestellten Texte wurden die Abstände zwischen den Buchstaben und Wörtern verringert. Die Frage war, ob dies einen positiven oder negativen Einfluss auf das Leseverhalten und -verständnis haben würde. Um die Hemianopsie auszugleichen, ist es notwendig, geeignete okulomotorische Strategien zur effizienten Nutzung der verbleibenden Hälfte des Gesichtsfeldes zu haben. Unsere Studien zeigen, dass Patienten mit reiner Hemianopsie und intakter Fovea – Fovea, der Netzhautpunkt mit der höchsten Auflösung (2 Grad) – optimal lernen, ihre Sehbehinderung durch aktives und motiviertes Sehtraining auszugleichen. Charakteristisch ist, dass die zwei unserer vier hemianopischen Patienten, die keine akustischen Lesefehler aufwiesen, die besten Resultate erzielten, also am besten an ihre Stoerung angepasst waren. Im täglichen Leben hatten sie eine Reihe von okulomotorischen Strategien entwickelt, um ihre spezifische Sehbehinderung auszugleichen.